Johannes Bohnen
Corporate Political Responsibility -
Wie Unternehmen die Demokratie und damit sich selbst stärken
SpringerGabler Verlag| 2020 | ISBN 978-3-662-61537-9
Angesichts der "thematisch disparaten Tätigkeiten" (S.101) vieler Firmen im Bereich Corporate Social Responsibilty sowie der "politikvergessenen Art vieler deutscher Unternehmer" (S. VIII) und der "kollektiven Ehrgeizlosigkeit" (S.67) in Sachen Gemeinwohl und Zusammenhalt, kommt dieses Buch zur rechten Zeit: Bohnen nimmt eine gut argumentierte "Neuvermessung/ Neugestaltung des öffentlichen Raumes" (a.a.O. u. S.14) vor und weist auf der Grundlage eines "breiten Begriff des Politischen" (a.a.O) den Unternehmen die Funktion zu, die ihnen gesamtgesellschaftlich zusteht und die unsere "Demokratie revitalisieren" (a.a.O) könnte. Die zunehmende Überforderung des Staates macht eine solche Revitalisierung gerade jetzt, aber auch grundsätzlich besonders notwendig, weil "der traditionelle Rahmen unserer Demokratie unter Druck kommt." (S.41) Erfrischend gegen den Strich der tradierten Staatsgläubigkeit gebürstet, konstatiert er: "Politik, Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt funktionieren nicht ohne ambitionierte und innovative Beiträge aller gesellschaftlichen Akteure. Für die Unternehmen bedeutet dies, über Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze hinaus zu denken und eine gesellschaftspolitische Haltung zu entwickeln." (S.1f) weiter: "Sowohl Unternehmen als auch Individuen können im Sinne einer politischen Emanzipation ein staatsbürgerliches Selbstverständnis entwickeln." (S.7) Das Ganze könnte unter einer Bedingung "den Primat des Politischen unterfüttern."(S.9): "Unternehmen sind als substanzieller Teil der Lösung bei der Rückgewinnung von (gemeint: staatlicher, LS) Steuerungsfähigkeit und Governance-Fähigkeiten gefordert....mit konkreten Beiträgen zur Stabilisierung des demokratischen Rahmens des Geschäftserfolges." (S.41)
Dieses solide politische Fundament befestigt Bohnen im zweiten Teil des Buches weiter unter der Überschrift: "Haltung zeigen - warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen" (ab S.93). Gemeint ist damit eine "gesellschaftspolitische Haltung" (S.93) als Voraussetzung für die Entwicklung einer "politischen Marke", deren Notwendigkeit auch wirtschaftlich begründet ist: "Die offene, demokratische Gesellschaft ist die beste Grundlage für Innovation, Handel, unternehmerische Wertschöpfung und somit Wohlstand." (S.94) CPR zielt somit auf eine "Absicherung des langfristigen Geschäfts durch frühzeitige gesellschaftspolitische Interventionen." (S.34) Ein entsprechender Mitteleinsatz ist also ein "business case" (S.94), wie Bohnen immer wieder betont: "Neben die klassische muss die gesellschaftspolitische Investition treten."(S.101) Er greift auf das in Deutschland durchaus vorhandene "Ethos tradierter Gemeinwohlverbundenheit" (S.150) zurück und schildert einzelne aktuelle Aktivitäten und beschreibt die bisher üblichen, unzureichenden Begriffe Corporate Social Responsibily, Corporate Citizenship, Corporate Responsibility, will sie aber allesamt "im Sinne politischer Verantwortung modernisieren und politisieren."(S.150) "Letztlich geht es bei CPR um die aktive Mitgestaltung des öffentlichen Raumes, also "Public Change Management." (S.149) Er verkennt nicht, dass für diesen "Ausgang aus der Selbstbezogenheit"- ein Wink mit Kant? - die "üblicherweise wirkmächtigen Beharrungskräfte in den Unternehmenseinheiten überwunden werden" (S.150) müssen.
Im dritten Teil des Buches wird auf dem Fundament der ersten beiden Teile das ebenso wichtige Umsetzungs-Konzept präsentiert: "Political Branding". Bohnen verdeutlicht die einzelnen Bestandteile und Schritte beim Aufbau einer "politischen Marke" jeweils an konkreten Beispielen und Kampagnen und unterteilt die Strategie in die aus seiner Sicht konkret möglichen vier Handlungsfelder: "Responsible Lobbying" (ab S. 154), "Positionierung über Themen und Dialoge" (ab S. 159), "Projekte der politischen Partizipation" (ab S. 163) sowie die "Bereitstellung von Kollektivgütern" (ab S.175). Was "Responsible Lobbying" ist, veranschaulicht er an einem Zitat einer von ihm als "Vorreiter" bewerteten
Unternehmensdarstellung der METRO AG: "In diesem Sinne ist Politikberatung, ist Lobbying, weit mehr als nur ein Mittel zur Durchsetzung partikularer ökonomischer oder sozialer Interessen. Es ist ein Mittel, um durch organisierte Interessenvertretung eine zukunftsfähige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung mitzugestalten." (S.156f) Beim Handlungsfeld "Projekte der politischen Partizipation" sieht er großes Potenzial für politische (Weiter-) Bildung in Unternehmen - dabei überschätzt er vermutlich die tatsächlichen Möglichkeiten und die erhoffte Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen, zumal er sie mit der verbindlichen, aber total verstaubten (ehemaligen) Staatsbürgerkunde der Wehrpflicht-Bundeswehr vergleicht (S.165). Die diesem Thema gewählten Beispiele sind zweifelhaft: Die unbestreitbaren Erfolge von "Community Organizing" (S.169) in den USA konnten trotz großer Anschubförderung nur in ganz wenigen Fällen im Sinne einer gesteigerten gesellschaftlichen Teilhabe an der Umsetzung von sinnvollen Maßnahmen in Deutschland umgesetzt werden. An Unterstützung der Wirtschaft fehlt es dort immer noch weitgehend. Auch diverse (Europawahl-)Wahlaufrufe von Unternehmen (S.161f), so neu und mutig sie waren, haben wohl kaum Breitenwirkung erzeugt, wenn man als Indikatoren für Wirksamkeit der CPR Maßnahmen das EU-Wahlergebnis und die -Wahlbeteiligung betrachtet: Hohe Anteile für die AFD - insbesondere in den neuen Bundesländern - und auch bei der Wahlbeteiligung kaum ein Unterschied zwischen Sachsen und Bundesebene nur 61,3 Prozent. Der erstmalig durchgeführte (!) Dialog der Kanzlerin mit Experten zum Thema "Wie wollen wir leben?" (S. 171) war für viele beteiligte Experten eher ernüchternd: Viele ihrer gemeinsam erarbeiteten Erkenntnisse und Empfehlungen scheiterten an der politischen Umsetzung, nicht am sachlichen Verständnis. Die teilweise idealistische Überschätzung der Wirkung politischer Bildung sowie einzelner Projekte oder Kampagnen schmälert aber keineswegs die absolute Notwendigkeit einer grundsätzlich stärkeren politischen Verantwortungsübernahme von Unternehmen. Unzweifelhaft liegt in der Förderung von politischen Veranstaltungen vor Ort durch Dritte ein großes Potenzial für die Gestaltung des öffentlichen Raums durch Unternehmen.
Dagegen verzeichnet Bohnen beim Handlungsfeld "Bereitstellung von Kollektivgütern" schon einige beeindruckende Leistungen, angefangen bei Betriebskinder-gärten, Schwimmbädern und Busverbindungen (ab S.175), auch im digitalen Bereich wie z.B. Salesforce und Amazon/Microsoft (ab S. 178). Das dürfte das Handlungsfeld mit dem größten Potenzial in Verbindung zur CPR bleiben.
Im letzten Teil des Buches geht es um die Markenführung der CPR in Unternehmen, insbesondere um die komplexe Planung und Umsetzung aller möglichen Maßnahmen (ab S.182) sowie um mögliche Politikfelder und Querschnittsthemen (ab S.185) und um die notwendige gesicherte Evaluation (ab S.194) und um deren qualitative Schwierigkeiten. Ob der Traum von Bohnen, schließlich eine CPR-Zertifizierung und ein CPR-Siegel und entsprechende Preise (S.197f) zu entwickeln, in Erfüllung geht - da muss noch viel Wasser die Spree runterfließen. Hier gibt es auch angesichts der Flut von Siegeln noch berechtigte Zweifel über die Wirksamkeit.
Insgesamt eine mutige, weitsichtige und auch für die Praxis anregende, optimistische Lektüre in einem Themenfeld, das in vielen Unternehmen weitgehend unterbelichtet ist. Angesichts der steigenden, auch demografischen gesellschaftlichen Herausforderungen und der absehbaren Überforderung des Staates, ist es dringend geboten, mehr gesellschaftliche Verantwortung in den Unternehmen wahrzunehmen, auch im Sinne einer Stärkung der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft. Man kann sich dem Aufruf am Ende der Einleitung nur anschließen:
"Werdet politisch - es lohnt sich!" (S.10)